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Die Wiedereröffnung der Museen als Zeichen gesellschaftlicher Verantwortung

22.04.2020

Das Datum zur schrittweisen Wiedereröffnung der österreichischen Museen fällt rund um den Internationalen Museumtag, der weltweit am 18. Mai gefeiert wird.

 

Das heurige Motto „Das Museum für alle“ trifft auch den Kern der Debatte um die gesellschaftliche Verantwortung der Museen und der damit verbundenen Frage: Aufsperren, aber wann? Das österreichische Nationalkomitee des internationalen Museumsverbandes ICOM hat sich stark für einen österreichweit einheitlichen Termin zur Wiedereröffnung aller Museen eingesetzt, die jetzige Vorgangsweise sieht allerdings eine Entscheidung auf Landes- beziehungsweise regionaler Ebene vor.
Ein einheitlicher Termin unter Beachtung aller sozialmedizinischer Vorsicht wäre aus Sicht von ICOM-Österreich klarer kommunizierbar gewesen. Als Vertreter der österreichischen Museumslandschaft möchte der Vorstand von ICOM Österreich zur aktuellen Situation der Museen klar Position beziehen.

 

In der gerade für viele Menschen sehr schwierigen Zeit der Corona-Krise wird zu Recht auf die große gesellschaftspolitische Verantwortung der Museen hingewiesen. Museen sind aufgrund der ihnen zugeschriebenen Glaubwürdigkeit besonders starke Werteproduzenten, die wesentlich zur Orientierung an Demokratie, Menschenrechten, sozialer Gerechtigkeit und ökologischem Bewusstsein beitragen. Eine rasche Wiedereröffnung der Museen ist daher unser Ziel. Dazu bedarf es jedoch der Klärung einiger wichtiger Grundvoraussetzungen: Allen voran, einer Regelung der Zutrittsbeschränkungen, die auch in der Praxis umsetzbar ist. Die bereits viel kritisierte Verpflichtung, eine Fläche von 20 Quadratmeter pro Besucher/in (die nicht in einem Haushalt leben) in einem Raum einzuhalten, ist für Museen ein Ding der Unmöglichkeit. Die Kontrolle dieser Maßnahme wäre mit unverhältnismäßigem Personalaufwand und einem Museumsbesuch mit Meldezettel verbunden – ein solches Vorgehen ist für Museen unvorstellbar. Nach der Öffnung der Museen wird ein Anschließen an die Besucherrekorde der letzten Jahre durch den Wegfall des Tourismus nicht möglich sein. Der damit durch die Corona-Krise verursachte Einbruch der Einnahmen betrifft die Museen insgesamt und die Bundesmuseen besonders massiv. Sie haben durch den ihnen von der Kulturpolitik übertragenen hohen Eigendeckungsanteil die Verpflichtung, einen Großteil ihrer Finanzierung selbst zu erwirtschaften. Einnahmen in dieser Größenordnung sind nur durch Ausstellungserfolge und Besucher/innen-Maximierung zu erreichen. ICOM fordert daher dazu auf, die gesellschaftliche Funktion der Museen als Werteproduzent, Gedächtnisspeicher der Gesellschaft und Ort des Diskurses zu stärken und diese als kulturpolitische Beurteilungskriterien für die finanzielle Förderung der Museen zu etablieren.
 

Bettina Leidl, Kunst Haus Wien – Präsidentin ICOM Österreich: „ICOM fordert die politisch Verantwortlichen auf, auch für Museen jene gesetzlichen Rahmenbedingungen zu schaffen, die eine zeitnahe und ordnungsgemäße Öffnung der Museen ermöglichen. Gerade in der Krise kommt den Museen in Bezug auf Demokratie und Freiheitsrechte eine wichtige Bedeutung zu, umso wichtiger ist es die Museen bald wieder zu öffnen.“

 

Danielle Spera, Jüdisches Museum Wien – Vize-Präsidentin ICOM Österreich: „Gerade jetzt sind Museen auf Grund ihrer hohen gesellschaftlichen Bedeutung besonders gefordert. Sie genießen hohe Glaubwürdigkeit und haben das Potential, allen Menschen maßgebliche Erfahrungen zu ermöglichen und neues Wissen zu vermitteln. Für die Wiedereröffnung der Museen müssen daher umsetzbare Rahmenbedingungen für diese aktuelle Krisensituation geschaffen werden.“

 

Otto Hochreiter, GrazMuseum – Generalsekretär ICOM Österreich: „Museen sind leise und laut zugleich: sie sind nicht nur der lauten Gegenwart des Ausstellungserfolgs und der Besucher/innen-Maximierung verpflichtet, sondern genauso der leisen Funktion als Gedächtnisspeicher der Gesellschaft. Der mit der Corona-Krise verbundene Einbruch der Einnahmen, der noch sehr lange nicht beendet sein wird, setzt auch den äußeren Erfolgsparameter der Besucher/innenzahlen teilweise außer Kraft. Dadurch wird die Qualität der anderen, „verborgenen“ wissenschaftlichen Museumsaufgaben, wie Sammeln, Bewahren, Beforschen des materiellen und immateriellen Kulturerbes sowie die gesellschaftspolitische Relevanz wieder stärker in den Vordergrund treten und zum kulturpolitischen Beurteilungskriterium werden müssen.“

 

Paul Frey, KHM Museumsverband – Kassier ICOM Österreich: „Museen brauchen Planungssicherheit und die Sicherstellung der finanziellen Rahmenbedingen für ihre Mitarbeiter/innen, ihre Ausstellungsprojekte und ihre Sammlungstätigkeit, damit wir gerade jetzt für unser Publikum da sein und Vorreiter für eine nachhaltige politische, soziale und kulturelle Entwicklung unserer Gesellschaft sein können.“

 

Hans Peter Wipplinger, Leopold Museum – Zweiter Vizepräsident ICOM Österreich: „Die vielzitierte neue Normalität fordert insbesondere von den Museen eine Neuorientierung im Besuchermanagement wie in der Justierung der Budgets ein – so divers die Finanzierungsmodelle, die Träger, wie die unterschiedlichen Programme der Häuser in Österreich auch sind. Diese Herausforderungen, die ohne eine engagierte Kulturpolitik der Bundesregierung nicht zu bewältigen sein werden, gelten für die gesamte, äußert vielfältige Museumslandschaft dieses Landes. Nicht zu vergessen ist dabei, dass die identitätsstiftende, wissensvermittelnde und damit bildungspolitisch wertvolle Arbeit der Museen gerade in Krisenzeiten eine hohe Bedeutung zukommt. Nicht zuletzt, weil die Künste Antworten auf Fragen zu Phänomenen der Vergangenheit wie der Gegenwart geben können und die Auseinandersetzung mit Kunst zu den Grundbedürfnissen eines kulturellen und gesellschaftlichen Lebens zählt.“

 

Johanna Schwanberg, Dom Museum Wien – ICOM Österreich-Vorstand: „Museen sind nicht nur Schaufenster sondern vor allem diskursive Orte. Gerade jetzt bieten Museen die Möglichkeit, sich jenseits der Herausforderungen des derzeit schwierigen Alltages sinnliche, emotionale und ästhetische Erlebnisse zu holen. Wir möchten daher Vermittlung und Führungen in Kleinstgruppen unter Einhaltung des Sicherheitsabstandes anbieten können“.

 

Peter Aufreiter, Technisches Museum Wien – ICOM Österreich-Vorstand: „Die Individualität der Museen ist deren Stärke und gleichzeitig die große Heraufforderung die unterschiedlichen Bedürfnisse und Voraussetzungen in einer schwierigen Situation wie dieser zu meistern. Die historisch gewachsenen Strukturen der einzelnen Häuser, die Art und Weise der Vermittlung, wie auch die unterschiedlichen Zielgruppen, verlangen eine differenzierte Herangehensweise an die Umsetzung der entsprechenden Schutzmaßnahmen sowohl für die Gesundheit der Gäste als auch für die Mitarbeiter/innen.“

 

Stefania Pitscheider Soraperra, Frauenmuseum Hittisau und Lisa Noggler-Gürtler, Museum der Völker Schwaz – ICOM Österreich-Vorstand: „Große wie kleine Museen agieren im Spannungsfeld zwischen kulturpolitischen, bildungspolitischen und marktökonomischen Ansprüchen. Aber Museen sind so heterogen wie ihr Publikum, wie ihre Inhalte, wie ihre Arbeitsweisen. Um unsere Legitimation zu sichern, müssen wir gerade jetzt unsere Rolle als gesellschaftspolitische Akteur/innen wahrnehmen. Es macht Sinn, bei der Wiedereröffnung gestaffelt vorzugehen. Uns muss aber seitens der Politik eine langfristige finanzielle Sicherheit garantiert werden, die über rein wirtschaftliche Überlegungen hinausgeht. Museen sind die Gedächtnisspeicher einer Gesellschaft. Um das wahrzunehmen brauchen wir Planungssicherheit. Das gilt für große wie kleine Museen.“
 

 

Zur Presseaussendung:

 

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